Wie sag ich es meinem Kind? Wenn Eltern psychisch erkranken.

Okt 23, 2023 | Kinder & Erziehung

Kinder psychisch kranker Eltern sind vielen Belastungen ausgesetzt

Kinder psychisch kranker Eltern sind mehr Belastungen ausgesetzt und abhängig vom Alter der Kinder bringt die psychische Erkrankung eines Elternteils Entwicklungsrisiken für die Kinder sowie die Gefahr Verhaltensauffälligkeiten oder selbst eine psychische Störung zu entwickeln mit sich. Betroffene und Angehörige stehen deshalb vor der Frage wie sie ihr Kind stärken können und was Kinder psychisch kranker Eltern brauchen, damit sie möglichst gesund aufwachsen können.

 

Psychoedukation für Kinder psychisch kranker Eltern

Was brauchen Kinder psychisch kranker Eltern, um gesund aufzuwachsen? Wie können wir als Elternteil, als Kita Fachkraft oder als Therapeut*in Kinder unterstützen, die in einer Familie mit einem oder mehreren psychisch erkrankten Elternteilen aufwachsen? Diese Frage stellte mir auch Andrea Dannhauser und lud mich in ihren Podcast „Zeit zu wachsen“ ein. Hör gern rein. Du findest ihn hier bei Spotify oder direkt über Andrea bei letscast. Ein wichtiger Punkt, den wir dabei herausgearbeitet haben ist die Psychoedukation für Kinder, was bedeutet die Kinder nicht außen vor zu lassen, sondern ihnen zu erzählen, was mit einem Elternteil los ist, wie es ihm geht und dass das Kind keine Schuld daran trägt.

Psychoedukation in diesem Zusammenhang meint die altersgerechte (!) Aufklärung von Kindern über die psychische Erkrankung des betroffenen Familienmitglieds. Also das  darüber sprechen und die Weitergabe von altersgerechten Informationen, die dem Kind zum Beispiel dabei helfen, das Verhalten des Elternteils einzuordnen. Außer dem reinen Informationsgehalt braucht es auch den damit geschaffenen Raum, der dazu beiträgt das Erleben des Kindes einzuordnen und es in seinen Kompetenzen zu stärken.

Bilderbücher als Ressource

Vor allem, wenn es sich schwierig anfühlt mit dem Kind über die persönliche Situation und die eigenen Schwierigkeiten zu sprechen könnten auch (erstmal) psychische Erkrankung allgemein thematisiert werden. Zu erfahren, dass es Krankheiten gibt, die wir nicht sehen können, wie einen gebrochenen Arm und dass es einige gibt, die sich mehr auf den Körper und andere, die sich mehr auf anderen Ebenen zeigen. 

Eine sehr gute Möglichkeit, um den Raum für Gespräche zu öffnen sind z.B. Bilderbücher. Sowohl in der Familie, als auch in Kita oder Therapie lassen sich Bücher begleitend einsetzen, um Kinder altersgerecht über psychische Erkrankungen allgemein oder speziell aufzuklären. Eine unvollständige Übersicht über Bilderbücher zum Thema habe ich dir hier zusammengestelt: Kinder psychisch kranker Eltern – Buchempfehlungen

Soll ich überhaupt mit meinem Kind darüber sprechen und wenn ja warum?

Bücher zum Thema psychische Krankheit mit dem Kind lesen? Soll ich überhaupt mit meinem Kind darüber sprechen? Warum ist das wichtig und ist es nicht vielleicht besser, sie nicht damit zu belasten?

Wir schützen Kinder nicht, indem wir etwas vor ihnen geheim halten – wir sollten im Gegenteil mit den Kinder über das Thema sprechen. Wichtig ist, dass dies kindgerecht und dem Alter entsprechend in einer Sprache passiert, die die Kinder auf ihrem Entwicklungsstand abholt und sie nicht überfordert.

Damit unausgesprochenes nicht zu einer Bedrohung wird

Kinder haben feine Antennen und spüren, dass etwas nicht stimmt. Je weniger die Erwachsenen mit ihnen darüber sprechen, umso größer und gefährlicher kann sich dieses Unausgesprochene für ein Kind anfühlen. Die Idee, die nicht nur Kinder und nicht nur auf dieses Thema bezogen haben ist, wenn da etwas ist, worüber keiner spricht oder sprechen kann, dann muss es wirklich etwas unsagbar schlimmes sein.

Um Schuldgefühlen vorzubeugen oder sie zu entkräften

Abhängig vom Alter werden Kinder dann ihre eigenen Schlüsse ziehen, die vor allem bei Kleinkindern aber auch noch bei älteren Kindern bedeuten können, dass sie nicht nachvollziehbares mit eigenen Ideen füllen. Kinder in der magischen Phase zum Beispiel können dann etwa glauben, dass es einem Elternteil wegen eines schlechten Gedanken, den sie vielleicht mal hatten, nun nicht gut geht oder sie beziehen, wie alle Kinder im Zweifel das unerklärliche Verhalten des Elternteils auf sich selbst. Einer von vielen Gründen, weshalb Kinder psychisch kranker Eltern sehr oft mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben, die sie stark belasten.

Familiengeheimnisse belasten und bringen Kinder in einen Integritätskonflikt

Das Nicht-sprechen über die Situation lässt außerdem die Vermutung zu, dass es ein (Familien-) Geheimnis ist und bleiben sollte. Kinder geraten dann häufig in einen Integritätskonflikt. Sie wünschen sich vielleicht irgendwann mit Freunden über die Situation daheim zu sprechen oder würden sich gern einer Person anvertrauen und tun dies nicht oder erst viel zu spät, weil sie das Gefühl haben, ihr Elternteil dadurch zu verraten. Und Kinder opfern ihre eigene Integrität eigentlich immer zugunsten der Verbindung zu ihren Bindungspersonen.

Ein offenes Gesprächsklima schafft Raum für Verständnis und Möglichkeiten

Sowohl die Verarbeitung von etwaigen Schuldgefühlen als auch das Lösen von gefühlten Schweigegeboten kann durch das darüber sprechen und da zb auch über die Arbeit mit Bilderbüchern und kindgerechten Ressourcen zur Psychoedukation gut unterstützt werden. Es hilft Kindern zu verstehen, warum sich ein Elternteil so verhält und dass eine psychische Erkrankung genau wie Schnupfen eine Erkrankung ist, für die keiner etwas kann. Und ein offenes Gesprächsklima bringt die „Erlaubnis“ auch außerhalb der Familie Schutzräume und Kontakte zu aktivieren und über erlebte Belastungen zu sprechen oder sich Hilfe zu holen, was ein wichtiger Faktor der Gesunderhaltung ist.

Kinder müssen wissen, dass sie nicht verantwortlich sind

Kinder wollen sich als wertvolles Teil der Familie fühlen. Es ist wichtig, sie ernst zu nehmen in ihren Bedürfnissen, mit ihren Ängsten und Sorgen.

Wenn ein Elternteil erkrankt hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Kinder. Sie dürfen wissen, dass es nichts mit ihnen zu tun hat, wenn das Elternteil sich anders verhält, sich vielleicht mehr zurückzieht, weniger ansprechbar ist oder auch aufbrausend reagiert. Kinder müssen wissen, dass es nicht ihre Schuld ist und sie nicht verantwortlich dafür sind.

Wenn wir mit Kindern in der Kita zb das Thema psychische Erkrankungen thematisieren oder daheim ein Buch zum Thema mit ihnen lesen können wir Bezug nehmen auf Situationen, die sie kennen, um diese unter dem neuen Gesichtspunkt einzuordnen.

Wie geht es weiter?

Ein Buch lesen und dann ist gut? Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Eltern und Fachkräfte müssen ansprechbar sein und bleiben und einen Blick dafür haben, wann das Kind uns braucht.

Dem Kind Zeit geben

Wir sollten Kinder zwar unbedingt einbinden und aufklären. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir hier auf Gesprächen bestehen oder von ihnen erwarten, dass sie uns antworten, wie es ihnen geht, ob sie das, was wir geteilt haben auch verstanden haben oder was immer wir uns vielleicht als Rückmeldung wünschen würden.

Eine (unmittelbare) Reaktion oder Rückmeldung zu erhalten ist das Bedürfnis der Erwachsenen, nicht der Kinder und sie sollte niemals gefordert oder gar erzwungen werden.

Es genügt, wenn wir es mitteilen, wenn wir Angebote (wie gemeinsam Bücher zu lesen oder in einer Kita Runde über das thema informieren) schaffen, durch die sie wertvolle Informationen erhalten und vor allem immer wieder in kleinen Momenten im Alltag erfahren, dass sie nicht Schuld sind und dass sich die Erwachsenen in der Familie darum kümmern, dass es dem betroffenen Elternteil wieder besser gehen wird. Das geschieht am Besten, in dem Siutationen und Erleben für das Kind eingeordnet werden. „Papa zieht sich zurück. Es hat nichts mit dir zu tun. Er hat Gewitter im Kopf und braucht eine Pause“

Es ist gut und wichtig eine offene Tür bzw. ein offenes Ohr und offene Augen zu haben, um zu erkennen, wann das Kind mit seinen Fragen oder Themen vielleicht zu uns kommen möchte. Und auch zu signalisieren, dass es dies jederzeit tun kann. Es gibt Kinder, die haben sehr schnell Gesprächsbedarf. Und es gibt auch Kinder, die scheinbar wenig beeindruckt reagieren und vielleicht erst ein paar Wochen später kommen und dann möglicherweise zu erzählen beginnen von einer eindrücklichen Situation oder weil sie Fragen haben oder um eine Geschichte Revue passieren zu lassen.

Raum schaffen und halten

Kinder verarbieten vieles im Spiel und nicht immer durch Gespräche

Gespräche sind gleichzeitig ein sehr erwachsener Weg der Auseinandersetzung mit einem Thema. Das kindliche Nervensystem funktioniert noch anders, abhängig vom Alter sind weniger kognitive Auseinandersetzung als vielmehr ein intiutiver und körper- oder emotionaler Ausdruck ihr Weg der Auseinandersetzung.

Manche Kinder wählen als Ausdrucksform die Sprache und das erzählen, andere Kinder nutzen andere Wege sich auszudrücken. Etwa im Spiel oder auf kreative Art und Weise. Es ist wichtig, dass wir ihnen ihre Ausdrucksform lassen und lernen ihre „Sprache“, ihre Form des Ausdrucks zu verstehen, zu lesen und zu beantworten.

Kinder verarbeiten erlebtes viel, in dem sie spielen. Ob sie also malen oder mit Figuren spielen oder große Höhlen bauen – es ist ihr Weg des Ausdrucks ihres inneren Erlebens und ein wichtiger Teil eines Verarbeitungsprozesses.

Es ist unterschiedlich, wann Kinder soweit sind sich auf ihre Form mitzuteilen – als Erwachsene Person ist es wichtig, dass wir dann wirklich da sind, wenn sie Bedarf signalisieren. Es ist auch wichtig, dass wir ihre Fragen wenn sie welche haben ehrlich beantworten, ihr Spiel nicht lenken oder unterbinden und ihnen vor allem durch unsere eigene Präsenz ein Anker der Sicherheit sind.

Autorin

Mehr als ein Jahrzehnt lang berate und begleite ich bereits Familien. Über Fragestellungen, die mir in dieser Zeit begegnet sind schreibe ich hier genauso wie über die Themen, die mich als bindungsorientierte Familienberaterin, traumasensitive Coach, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Spezialistin für das Nervensystem in der Begleitung von Eltern und Menschen, die mit Kindern leben und arbeiten besonders beschäftigen und die Einfluss darauf haben, wie wir unsere Kinder gut ins Leben begleiten können.

Dazu gehören u.a. Themen aus dem Bereich der Bindungswissenschaften, Entwicklungspsychologie, Streß- & Burnoutprävention, die Themen rund um Trauma, inkl transgenerationale Weitergabe von Trauma und was das mit dem Nervensystem zu tun hat -  letztlich alle Themen, die Eltern und Fachkräfte berühren und bewegen. Daneben findet ihr hier sicher auch einige persönliche Artikel über Themen, die mein Leben als Mutter von drei Kindern bewegen oder bereichern.

Wenn du Themenwünsche, Fragen oder Anliegen hast freue ich mich auf deine Nachricht.

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