Gewalt in Kitas – keine Einzelfälle
Immer wieder berichten Medien über Vernachlässigung, Misshandlung oder Todesfälle, die sich in Kitas ereignen. Was nach Einzelfällen klingt ist in Wahrheit ein strukturelles Problem, vor dem Verantwortliche und Politik nicht nur die Augen verschließen, sondern in der auch aktive Vertuschung betrieben wird. Zu wenig, ständig wechselndes und überfordertes Personal ist gelebte Alltagsrealität.
Eine aktuelle BR Umfrage hat ergeben, dass sich die Verdachtsmeldungen über Gewalt in Kitas von 2021 auf 2022 teilweise verdoppelt haben. Zur Gewalt wird dabei die Verletzung der Aufsichtspflicht, seelische Gewalt, körperliche Gewalt und sexualisierte Gewalt gezählt.
Kinder sind also bedroht von physischer und psychischer Vernachlässigung, Grausamkeiten, Beschimpfungen, Abwertungen, Ausgrenzung und Übergriffen. Sie werden im vermeintlich besten Fall noch ignoriert oder nicht getröstet, aber auch eingesperrt, gedemütigt, ausgelacht, zum Essen gezwungen oder festgebunden.
Dabei haben all diese Erfahrungen langfristige Auswirkungen auf Kinder, die sich selbst sprachlich noch nicht äußern können und in den ersten Jahren lernen, wie Beziehungen funktionieren. Die Folge können auffällige Verhaltensweisen bis zu psychischen Störungen, Bindungsstörungen und Traumafolgestörungen sein.
Der hohe Anstieg der Zahlen aus der BR Umfrage innerhalb eines Jahres ist erschreckend. Dabei ist dies ganz klar die Spitze eines riesigen Eisbergs, denn Meldungen an die Aufsichtsbehörden werden häufig nicht gezählt bzw gar nicht erst getätigt.
Ein wirklich funktionierendes Schutzkonzept gibt es nicht. Zwar ist 2021 ins SGB aufgenommen worden, dass Kitas ein solches Schutzkonzept vorlegen müssen, es gab jedoch keine Frist, bis wann ein solches vorgelegt sein muss und auch keine Angabe, ob überhaupt und wie dieses Konzept auf seine Tauglichkeit hin geprüft wird. So werden die Konzepte mit Glück gelesen, aber eher nicht vor Ort kontrolliert. Eine Schließung von Betrieben auf Grundlagen von nicht aureichenden Schutzkonzepten oder vorliegenden Mängeln ist, scheint, wenn wir ehrlich sind, ähnlich wie in Pflegeheimen eher unwahrscheinlich. Zu groß ist der Bedarf. Und die Schaffung von mehr Betreuungsplätzen, dem flächendeckenden Ausbau von Kita Plätzen und dem Rechtsanspruch auf einen Kita Platz hat nicht gerade zur Steigerung der Qualität beigetragen.
In der Praxis betreut eine Fachkraft längst nicht nur drei Kinder unter 3 Jahren. Im Gegensatz zum Thema Gewalt wird der Personalmangel in Kitas, der Einrichtungen, Angestellte und Kinder gleichermaßen in Not bringt, offen kommuniziert. Dass der Personalschlüssel zu gering ist und stetig unterschritten wird, ist dabei keine neue Erkenntnis. In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation nicht verbessert, sondern eher noch verschärft. 3-6 unter 3 jährige und 6,5-12,3 über 2 jährige dürfte eine Fachkraft maximal allein betreuen. Nicht nur Personalmangel, sondern auch Krankheitswellen stellen ein großes Problem dar.
Diejenigen, die sich um die Schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft kümmern sollen erhalten weder Wertschätzung noch adäquate Bezahlung oder ein sicheres Arbeitsumfeld. Wie im Gesundheitswesen auch sind die Mitarbeiter:innen von ständiger Überlastung bedroht.
Doch hier versagt die Politik auf ganzer Linie. Es fehlt an guten Anreizen und Perspektiven für gutes Personal. Diejenigen, die mit Herz und Seele diesen Job wählen brennen früher oder später aus. Studien zeigen, dass besonders Pädagog*innen, Lehrkräfte und Fachkräfte in Kitas und Kindergärten neben den Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten vom Thema Burnout bedroht sind. Sie werden krank oder gehen ganz aus dem Beruf, wenn sie es nicht mehr ertragen zuzusehen, was tagtägliche Praxis ist. Beides verschärft die Situation für die Kolleg*innen und Kinder weiter. Ein Teufelskreis, der durch Überlastung zu noch mehr Gewalt führt.
Denn überall, wo Menschen überlastet sind, nicht ausreichend qualifiziert, krank oder dauergestresst verlieren sie die Fähigkeit empathisch mit den ihnen anvertrauten Menschen umzugehen. Ob dies Kinder oder Pflegebedürftige sind.
Wenn es um Kindswohlgefährdung geht ist hinschauen angesagt. Geht die Gefährdung allerdings von Fachpersonal aus ist wohl eher Augen verschließen die Devise.
Wenn Fachkräfte Missstände überhaupt offen zur Sprache bringen werden sie meist Mundtot gemacht. Die Angst vor dem Jobverlust ist bei ihnen genauso groß wie die Angst der Eltern den Kitaplatz zu verlieren, wenn sie sich beschweren. Auf diese Weise wird mit der Gesundheit unserer Kinder gespielt.
Autorin
Seit über einem Jahrzehnt begleite ich Familien in verschiedenen Lebenslagen. Auf meinem Blog schreibe ich über Themen, die mich beschäftigen und berühren. Von Bindungs- und Neurowissenschaften über Entwicklungspsychologie bis hin zu Stressprävention, Trauma und Burnout.
Es geht um alles, was Eltern und Fachkräfte bewegt – und was uns hilft, unsere Kinder gut ins Leben zu begleiten. Manchmal teile ich auch persönliche Einblicke aus meinem Alltag als Mutter von drei Kindern.
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