unfreiwillig vegan
Is(s)t die Zukunft vegan?
Lies hier meine sehr persönliche Auseinandersetzung und Geschichte zur pflanzenbasierten Ernährungsweise und erfahre, ob ich vegan lebe oder nicht. Als ich den Aufruf zur Teilnahme an der Blogparade „Die Zukunft is(s)t vegan – wie du vegan wurdest oder warum du es (noch) nicht bist“ bekam, wusste ich, dass ich teilnehmen möchte, um das Thema für mich selbst greifbarer zu machen. Ich bin schon auf andere Beiträge gespannt. Diese findest du bei Sandra Hoppenz Blogparade: „Die Zukunft is(s)t vegan?“
Und nun teile ich meinen persönlichen Weg und den meiner Familie:
Eine Mahlzeit ohne Fleisch ist kein richtiges Essen vs. „Du isst Fleisch? Wie kannst du nur!“
Aufgewachsen bin ich in einer Zeit, in der das Stück Fleisch auf dem Teller zum täglichen Speiseplan gehörte. Selbst, wenn wir Kinder da Ausnahmen bildeten und es für uns Süßspeisen gab, war es meinem Vater wichtig. Es war wie „ein Essen ohne Fleisch ist gar kein Essen.“ So hatte ich in der Kindheit keinen anderen Horizont, als dass dies normal war. Dass Essen so aussieht und Gemüse eher die Beilage ist – und nicht der Hauptbestandteil einer Mahlzeit.
Und dieses Gefühl ist auch heute weit verbreitet. Ich muss nur eines der etwa hundert Kochbüchern aus unserem Kochbuchregal ziehen. Wenn es nicht gerade explizit vegane oder vegetarische Kochbücher sind, beschäftigt sich der Großteil jedes Kochbuches mit Gerichten, die Fleisch zubereiten.
Die ersten Erfahrungen als Teenager und auf der Schwelle zum Erwachsen-werden mit vegan lebenden Menschen waren eher abschreckend. Sie hielten lange Reden. Also wirklich laaaaange Reden und verurteilten alles und jeden, der oder die nicht vegan leben würden. Mitunter war ich deutlich verbalen Angriffen ausgesetzt. Und einem stetigen „wie kannst du nur“. Zu einer Zeit, in der ich selbst mich noch gar nicht dem Thema beschäftigt hatte, bekam ich Vorwürfe zu hören und nahm ich eher mit, dass ich nichts damit zu tun haben wollte, wenn vegan sein bedeutet andere Menschen per se zu verurteilen und anzugreifen statt sie zu interessieren und mitzunehmen. Es war mir damals schlicht zu radikal und dogmatisch, erschien mir geradezu engstirnig.
19-jährig hatte ich dann eine weitaus älter und sehr liebe Arbeitskollegin, die einen ruhigen Umgang mit dem Thema pflegte und mir ihre Gründe so darlegte, dass ich sie schlüssig und stimmig fand. Ihr ging es weniger um das Tierwohl und viel darum, wie konventionelle Tierhaltung zum Hunger in der Welt beiträgt. Doch auch, wenn es andere gewesen wären – es ging einfach um die Art der Kommunikation und des Umgangs mit anderen Menschen, die (noch) anders lebten.
Wie kommt es also, das ich trotzdem lange vegan lebte und was meinst du, wie lebe ich wohl heute?
Unfreiwillig vegan?
Wenn ich es ganz genau betrachte, habe ich nie eine Entscheidung getroffen, die lauten würde: ab heute ernähre ich mich vegan. Im Grunde ist alles, was meine Ernährung betrifft nie von mir herbeigeführt und freiwillig. Irgenwie hatte ich da gefühlt nie eine Wahl. Was nicht bedeutet, dass ich nicht hinter dem stehe, wo es mich hingeführt hat.
Milch ade
Das erste, wovon ich mich verabschiedete waren alle Kuhmilch-Produkte. Schon seit frühester Kindheit bekam ich Krämpfe vom täglichen Glas Milch, das damals noch morgens den Weg in mein Müsli fand. Ich liess das Frühstück weg und lebte eine Weile gut damit. Während meines Studiums allerdings verschlechterte sich meine individuelle Verträglichkeit und ich liess radikal jegliche Milchprodukte weg. Das war zu dem Zeitpunkt noch etwas schwieriger als es heute ist, denn Ersatzprodukte gab es wenn überhaupt nur vereinzelt und die meisten fand ich nicht adäquat. Dass ich damals auch auf Zwieback und die Breze vom Bäcker reagierte erschien lang psychosomatisch – bis ich herausfand, dass auch in den Produkten Milchzucker oder Milchbestandteile verarbeitet waren.
Nachdem ich selbst Mutter wurde und mein Baby stillte beschäftigte ich mich nochmal aus diesem Blickwinkel heraus mit der Milchwirtschaft und zu diesem Zeitpunkt war ich einfach nur dankbar, dass ich sie wegen meiner Unverträglichkeit sowieso nicht unterstützte. Mit einem Neugeborenen im Arm die Vorstellung zu ertragen, dass Mutter und Baby direkt nach der Geburt getrennt werden und ein kleines Baby, auch wenn es ein Tier ist, nicht bei der eigenen Mutter sein darf, traf nicht nur mein Herz sondern direkt meine Wochenbetthormone.
Fleischlos glücklich
Doch noch bevor mein erstes Kind das Licht der Welt erblickte hatte ich nicht nur die Kuhmilchprodukte, sondern auch Fleisch und Fisch von meinem Speiseplan gestrichen. Auch das geschah nicht wirklich freiwillig. Meine Schwangerschaft liess mir nur keine Wahl. Statt Gelüsten bescherte sie mir nur Abneigungen. Der Gedanke daran Fleisch oder Fisch zu essen liess schlimmste Übelkeit aufkommen. Und das Gefühl hörte nach der Geburt nicht auf. So war ich mehrere Jahre fleischlos und milchfrei glücklich.
Es ging mir wesentlich besser ohne Fleisch und Milchprodukte. Ich fühlte mich nicht mehr so überfüllt nach dem Essen, wie ich es von früher kannte. Die Tatsache, dass ich damit bis auf Ei schon vegan lebte behielt ich für mich. Milchfrei wurde ja akzeptiert, weil es eine Indikation dazu gab. Ohne Fleisch? Ich hatte keine Lust auf Diskussionen. Denn die anfängliche Abneigung entwickelte sich auch hier zu einer Überzeugung. Die Beschäftigung mit dem Thema brachte mich zu einer Haltung, die es nicht befürworten konnte. Ich wollte allerdings auch nicht dogmatisch unterwegs sein oder andere belehren, wie ich es selbst erlebt hatte. Wenn andere neben mir Fleisch essen ist das völlig ok für mich. Ich kann und will einfach nur für mich selbst entscheiden, nicht für andere. Und: Ich wollte einfach nur auf meinen Körper hören, was er brauchte und mir sagte. Und ich wollte die Freiheit behalten zu sagen, dass ich zu jedem Zeitpunkt das essen können wollte, worauf ich Lust hatte. Auch, wenn dies zu irgend einem Zeitpunkt Fleisch sein sollte, weil ich daran glaube, dass die Lust auf ein bestimmtes Nahrungsmittel auch ein Signal meines Körpers ist, dass er etwas daraus gerade benötigt.
So lebte ich mehrere Jahre ohne dass irgendwer wusste, dass ich Vegetarierin an der Schwelle zum Vegan-sein war. Es gab auch keine Verbote für mich.
Und so nach 5 Jahren etwa entwickelte es sich, dass ich nicht nur wieder Käse und Schokolade gut essen konnte, sondern auch auch 1-2 mal im Jahr Fleisch oder Fisch ass.
H-Ei-lige Zeit
Bis zu einem Novembertag, der die Wende brachte…. Ach du heilige Zeit. Ja, da stand mein Kind, 8 Jahre alt, und erklärte mir, dass die Vorweihnachtszeit eine heilige Zeit wäre. Und dass es in dieser Zeit nicht ok wäre irgend eine Art von tierischen Produkte zu essen. „wegen den Engeln“. Okay. Nachdem mehr und mehr klar wurde, wie ernst ihr das war und dass sie es auch allein durchziehen würde. Keine tierischen Produkte. Keine. Nicht, dass es bei uns viel oder regelmäßig davon gegeben hätte… Pft. Aber nun durfte es eben auch kein Ei im Kuchen oder Kaiserschmarrn oder in den Spätzle mehr sein. Oje. Und Ausnahmen waren nicht erlaubt. Nicht mal für die Lieblingssüssigkeiten.
Ich möchte an der Stelle betonen, dass mein Kind dies für sich entschieden hat. Dass wir mehrfach versuchten, sie zu etwas mehr „Sanftheit“ mit sich selbst und weniger striktem Ablehnen zu bewegen. Denn das was passierte war, dass die Strenge mit der sie damit umging großes Leid mit sich brachte. Wenn die Gerichte erstmal nicht so schmeckten, wie sie es gewohnt war und liebte. Und teilweise zu Beginn reihenweise misslangen, was den kochenden Papa in arge Bedrängnis brachte. Wer mag schon Waffeln, die nicht fluffig sind oder Spätzle, mit seltsamen Nebengeschmack vom Eiersatz? Seufz.
Doch wir wurden besser. Wälzten Kochrezepte im Internet, probierten aus und ich entschied ziemlich schnell, dass ich meinem Kind beistehen wollte. Es formulierte zwar, dass wir weiter auch anderes essen dürften aber jedesmal, wenn einer von uns ein Stückchen Käse oder Schokolade ass sah ich wie sehr sie dies schmerzte und dass sie sich allein fühlte in diesen Momenten, ja so, als würden wir sie verraten. Ich sah, wie wichtig es für sie war und weil sie mir so wichtig war ging ich den Weg mit ihr gemeinsam. Ich erhielt allerdings nach einem Jahr die Erlaubnis ab und zu auch wieder ein Stück Schokolade meiner Wahl essen zu können. Das ist nun über vier Jahre her und besonders in der Anfangszeit sind viele ungegessene und beweinte Twix und Eis den Bach hinuntergeflossen.
Süssigkeiten-Trauer
Denn ja, ein Kind zu begleiten, das so klar und strikt weiß, was es will bedeutet auch, es zu begleiten, wenn es merkt, dass die eigene Klarheit gleichezitig Trauer und Frust auslöst. Ich weiß nicht mehr, wie viele Keks und Schokoladen Alternativen ich im Lauf der Jahre angeschleppt habe. Ich bin sehr froh, dass wir eine kleine Auswahl von meist zufällig vegangen Produkten gefunden haben, die das Kind liebt. Oreo Kekse und Manner Waffeln zum Beispiel. Ohne die wären wir verloren gewesen. Denn bei allem, was wir selbst kochen haben wir natürlich Einfluss auf die Zutaten und dank der grandiosen Auswahl, die es heute gibt wird vieles leichter – und mit etwas Übung gelingen auch die meisten Speisen dann irgendwann nicht nur milch- sondern auch eifrei gut. Worauf wir keinen Einfluss haben sind jedoch Nahrungsmittel, die wir selbst nicht zubereiten und an der Stelle oute ich mich, dass ich keine Süßigkeiten herstelle. Vielleicht noch nicht. Oder bislang nicht. Wer weiß. Und: die veganen Alternativen sind allesamt nicht wirklich gut. Weder das Kind noch ich finden sie annähernd adäquat.
Unterschiedliche Bedürfnisse und Werte in der Familie
Wie leben wir aber als Familie so? Da heißt es Bedürfnisse unter einen Hut bekommen. Wir haben schließlich nicht nur ein Kind, sondern drei. Und sind selbst auch Menschen mit eigenen Bedürfnissen. Uns ist wichtig, keinem Kind eine Ernährungsweise überzustülpen. Das, was wir lieber weitergeben wollen, ist ein gewisser Respekt und Achtsamkeit vor Nahrungsmitteln insgesamt.
Doch nur weil ein Elternteil oder ein Kind vegan lebt müssen es nicht alle sein. Kind drei zum Beispiel kann nicht ohne sein täglich Joghurt. entwickelt etwa 2x im Jahr eine aussgeprägte Schinken-Liebe. Aus dem Grund gibt es nicht nur wieder mehr Milchprodukte im Haus sondern ab und zu auch Fleisch. Wenn es ein paar mal Schinken oder Hühnchen gab, ist das Bedürfnis meist gestillt und es wird für eine Weile nicht mehr benötigt. Kind zwei ist ein kleines Mäuschen und liebt Käse. Auch den gibt es. Und Kind eins ist weiter vollkommen vegan. Weder sie noch wir bestimmen aber darüber, wie die anderen Kinder sich ernähren wollen oder was für sie richtig ist.
Sie wachsen allerdings damit auf, dass es unterschiedliche Haltungen und Ernährungsweisen gibt- und dass sie nebeneinander und miteinander leben können. Uns ist wichtig so etwas nicht überzustülpen. Nicht zu verurteilen. Keinen Zeigefinger zu heben. Wir leben also nicht dogmatisch und folgen keiner Ernährungswelle. Wir kaufen möglichst bewusst ein und kochen jeden Tag frisch.
Zugute kommt mir dabei, dass mein Mann das meiste Kochen übernimmt. Denn mir selbst würde es sehr schwer fallen, Fleisch anzufassen oder zuzubereiten. Aber sollten es für meine Kinder aber wichtig sein, dann würde ich mich für sie überwinden. Auch Ei zu benutzen liegt grad außerhalb meiner Vorstellungskraft – aber hey, ich sag niemals nie. Denn das, was mir wichtig ist, ist ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Bewusstsein darüber, was der Konsum von tierischen Produkten bedeutet und dem eigenen Wohlgefül – darauf achtend, dass nicht jeder Körper gleich ist oder das gleiche braucht. Ich beeinflusse nicht und wenn mein veganes Kind sich einmal im Jahr jetzt ein Milcheis erlaubt, dann feiere ich, dass sie weicher und gütiger mti sich selbst umgeht – ich kaufe deshalb weder gleich zwei weitere Kilo Milcheis noch demonstrativ vegane Varianten. Sie darf ihren eigenen Weg nehmen.
Meine eigene Ernährungs-Reise: Histamin ahoi.
Wohin meine eigene Ernährungs-Reise führt ist nun erstmal wieder unklar. Denn ausser Milch scheine ich nun auch ein ausgeprägtes Histamin Problem zu haben – und eine Zölliakie steht ebenfalls im Raum. Die Ärztin und Ernährungsberaterinnen würden es sehr gerne sehen, wenn ich mindestens Hühnchen, sowie Ei und proteinhaltigen Frischkäse essen würde, weil ich soviel Gewicht verloren habe. Aktuell ist das noch kein Thema, denn nichts davon vertrage ich augenblicklich. Doch vielleicht wird meine Freiwilligkeit beim Thema Nahrung mal wieder auf die Probe gestellt. Wenn ich diesen Artikel in 3 Jahren schreiben würde weiß ich nicht, wo ich sein werde. Jetzt kann ich sagen, dass ich mich im Herzen vegan fühle und auch so gut es geht danach lebe. Wobei es für mich mehr eine Haltung ist, als eine dogmatische Folge von Geboten.
Hier schreibe ich:
Ich lebe eine möglichst tierfreie Ernährung ohne Dogma und mit viel Selbstmitgefühl. Folge der Weisheit meines Körpers. Fleischlos und (erst wegen Unverträglichkeit, dann aus Herzensüberzeugung) Kuhmilchboykottierende glückliche Mama von drei Kindern. Mein Geist kann sich momentan ein zurück zu Ei, Milch oder gar Fleisch nicht vorstellen. Doch wichtiger als das ist es mir, meinem Körper zu geben, was er braucht und mich nicht in die Abhängigkeit von selbstauferlegten Geboten zu verheddern. Dann ziehe ich einen bewussten Konsum mit Dankbarkeit und Achtsamkeit vor.
Liebe Tamara 🥳 vielen herzlichen Dank für deine Teilnahme an meiner Blogparade mit diesem wundervollen Beitrag und deinen Einblick in deinen „unfreiwilligen“ Weg in eine pflanzenbasierte Lebensweise. Bewundernswert, wie ihr das als Familie macht. Herzliche Grüsse, Sandra