Schläft es auch schon durch?
Gute Ratschläge
Als Eltern werden wir von allen Seiten mit vielen Ratschlägen und auch Fragen konfrontiert. Einige davon haben das Potenzial mindestens Unwohlsein in uns Eltern auszulösen – ein Gefühl von: „müsste mein Kind nicht schon…?“ oder „Haben wir als Eltern etwas versäumt, unser Kind nicht richtig gefördert und unterstützt?“ bis hin zu „Stimmt vielleicht etwas mit meinem Kind nicht?“
Häufig sind dies Fragen, die mit den Fähigkeiten unserer Kinder zusammenhängen. Etwa:
- „Geht es schon aufs Töpfchen?“,
- „Schäft es auch durch?“ ,
- „Es kann noch nicht krabbeln?“ oder
- „spricht es immer so wenig?“
In diesem Artikel schreibe ich über entwicklungsgerechte Entwicklung am Beispiel des Schlafens und möchte Eltern ermutigen, sich von Fragen und Aussagen von Nachbar*innenn, Großeltern oder Fremden, denen wir im Bus oder beim Einkaufen begegnen innerlich zu distanzieren und nicht verunsichern zu lassen.
Bin ich eine bessere Mutter/ ein besserer Vater, wenn mein Kind…. kann?
Die Frage nach den Fähigkeiten unserer Babys und Kinder geht uns nicht nur deshalb nah, weil wir verunsichert werden können, ob unser Kind wirklich gesund aufwächst und alle Anlagen und Kompetenzen mitbekommen hat, die die Natur so zu bieten hat – sondern auch, weil wir sobald wir Eltern werden auf einmal eine völlig neue Erfahrung machen. Nämlich, dass was auch immer unser Kind tut oder nicht tut unmittelbar auf uns Eltern zurückfällt und zu einem Gradmesser dafür wird, wie wir selbst von anderen beurteilt oder gesehen werden und auch, ob wir uns selbst als gute, kompetente Eltern wahrnehmen können.
Doch bin ich wirklich eine bessere Mutter/ ein besserer Vater, wenn mein Kind wenig weint, keine Konflikte hat, wenn es früh krabbelt, drei-Wort-Sätze spricht, immer das Gemüse isst, keinen „Unfug“ treibt und „brav“ schläft?
Die Antwort dürfte hoffentlich ziemlich klar sein. Es sagt weder etwas darüber aus, wie die Beziehung zu unserem Kind gestaltet ist – noch bedeutet es, dass wir Eltern eine adäquate „Leistung“ bei der (Erziehung) Begleitung unserer Kinder vollbracht haben. Auch, wenn uns das gern suggeriert wird.
Die Entwicklung von Fähigkeiten setzt eine gewisse Hirnreife voraus
Oftmals geht es bei diesen Themen um Fähigkeiten, die einem natürlichen Entwicklungsverlauf folgen und die eine gewisse (Hirn-)Reife voraussetzen. Wir können sie uns also weder als als Leistung auf die Fahne schreiben (Gras wächst nicht schneller, wenn wir daran ziehen), noch als unser elterliches Versagen. Das wäre ungefähr, als würden wir uns vorgeburtlich darin messen, welcher Fötus schon Fruchtwasser schluckt oder ausgebildete Innenohren hat.
Die Frage an die Eltern eines wenige Wochen alten Babys, ob es schon durchschläft könnte genauso lauten: beherrscht es schon Integralrechnung? Eine absurde Vorstellung. Leider ist die Vorstellung, dass ein Säugling durchschlafen soll für viel zu viele Menschen gar nicht so absurd. Weil sie schlichtweg nicht wissen, dass Babys anders schlafen als Erwachsene und es Zeit braucht, bis sich das ändert.
Durchschlafen
Durchzuschlafen ist von der Natur für diesen Entwicklungsabschnitt des Lebens nicht vorgesehen. Babys brauchen Wachphasen, um ihre Organfunktionen zu regulieren und ihr Bindungssystem zu aktivieren – beides sichert ihr Überleben. Und: ihr Nervensystem muss sich noch weiter entwickeln. Denn Menschenkinder kommen „unfertig“ auf die Welt und brauchen anders als kleine Tierbabys einfach nochmal Zeit wenn sie auf der Welt sind, um nachzureifen.
Durchschlafen, wie wir Erwachsene es definieren, ist für Babys von der Natur nicht vorgesehen.
Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen. Das bedeutet meist, dass nicht das Kind (endlich) etwas lernen sollte, sondern wir grossen dürfen unsere Erwartungen verändern und sie daraufhin überprüfen, was entwicklungspsycholgisch in einem bestimmten Alter gegeben ist. Wir Erwachsenen dürfen uns von Vorstellungen darüber, wie Babys schlafen verabschieden und Aufklärung und realistische Erwartungen darüber, was „normal“ ist.
„Durchschlafen“ ist für Babys zum Beispiel, wenn sie in der Nacht 4-5 Stunden am Stück schlafen – wobei Unterbrechungen von bis zu zehn Minuten in diesem Zeitraum immer noch inkludiert sind. Das heißt zb in eine weniger tiefe Schlafphase eintreten, unruhig werden, sich vergewissern, dass eine Bindungsperson da ist und ich nicht alleine bin, stillen und weiterschlafen ist Teil dessen, was bereits zum „durchschlafen“ zählt. Und es ist unheimlich wichtig, denn über diese Rückversicherung und das Aufwachen regulieren Babys ihre Körperfunktionen, die Temperatur, den Atem usw. Ihr inneres Überlebensprogramm funktioniert also einwandfrei, wenn sie nicht so tief und lange am Stück schlafen, wie wir Erwachsenen das tun können bzw wie wir es uns manchmal vielleicht wünschen würden. Und auch, wenn nicht ganz geklärt ist, auf welche Art, so ist inzwischen sicher, dass das nächtliche Stillen der beste Schutzfaktor vor SIDS, dem plötzlichen Kindstod ist (–> hier habe ich über den Stand der Forschung zu SIDS geschrieben).
Über mich
Schön, dass du auf meine Seite und zu diesem Artikel gefunden hast. Mit dem Thema Babyschlaf beschäftige ich mich seit fast fünfzehn Jahren. So lange berate und begleite ich bereits werdende Eltern bei den Themen Geburtsvorbereitung, Rückbildung, sowie nach der Geburt bei Themen wie Stillen, Schlafen und Weinen. Ich bin unter anderem Stillberaterin, formula ernährte Säuglingsberaterin, Fenkid Babykursleiterin und artgerecht Babyschlafcoach mit zwei weiteren Fortbildungen zum Thema gesunder Babyschlaf. Mein Wissen und meine Leidenschaft auch für die Themen Entwicklungspsychologie, Bindung und Stress-& Co-Regulation gebe ich hier auf meinem Blog weiter. Wenn es ein Thema gibt, das dich besonders bewegt und das hier noch fehlt, schreib mir . Ich freue mich auch, wenn du meinen Newsletter abonnierst. Immer wieder biete ich auch kostenlose Online Stillgruppen uä an, die ich über meinen Newsletter kommuniziere.
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