7 Gründe, warum du dich um dein Nervensystem kümmern solltest, wenn du Kinder hast

Eltern zu sein heißt immer auch Ausnahmezustand
Eltern zu sein heißt, dass immer irgendwo gerade Ausnahmezustand herrscht. Beim Versuch alles unter einen Hut zu bringen, gesellschaftliche und eigene Erwartungen zu erfüllen und dem täglichen Chaos struggeln wir früher oder später alle mal mehr und mal weniger. Kommen dann noch besondere Situationen hinzu: Umzüge, die Geburt von Geschwisterkindern, gesundheitliche Probleme oder werden eigene oder freme Stimmen laut, dass unser Kind besondere Bedürfnisse hat stehen all diese Dinge in keinem Verhältnis zu der wenigen oder schlichtweg nicht vorhandenen Unterstützung, die Eltern erleben. Und das sind nur die äußeren Bedingungen. Kein Wort davon, mit welchen Päckchen wir selbst in das Abenteuer Elternschaft starten. Ein emotionaler Rucksack aus frühen Erfahrungen und entwickelten Mustern, der Einfluss darauf hat, wie wir unser Eltern-sein erleben, wie wir mit Streß umgehen können und wie resillient wir sind. Spätestens wenn unser Nervensystem beginnt, den alltäglichen Streß als Gefahr einzuordnen, braucht es Unterstützung, um wieder zurück ins Gleichgewicht zu finden.
Ansonsten wird ein trotzendes Kleinkind oder ein nach Autonomie strebender Teenager, das umgeschubste Wasserglas, der achtlos hingeworfene Schulranzen, streitende Geschwisterkinder oder die abendliche Zähneputz-Diskussion zum sprichwörtlichen i-Tüpfelchen dessen, was unser System nicht mehr halten kann, was es aus der Bahn wirft und uns zu meckernden, schimpfenden, verzweifelten, wütenden oder frustrierten Eltern werden lässt. Wenn du dich also fragst, wie Erziehen ohne Schimpfen überhaupt funktionieren kann, wenn du Stress reduzieren möchtest und lernen willst wie du Gefühle bei Kindern und dir selbst regulieren kannst bist du hier richtig.
Die Antwort darauf, was du tun kannst, ist, dich erstmal gut um dein eigenes Nervensystem zu kümmern. Was du auf dem Weg zu einem regulierteren System noch mitnimmst und welche guten Gründe es damit gibt, um dich in Zukunft gut um dein Nervensystem zu kümmern liest du hier.
Grund 1: Stresslevel Check-in
Wenn du beginnst, dich mit deinem Nervensystem zu beschäftigen, wirst du entdecken, dass es weit mehr gibt als entspannt oder gestresst zu sein. Es gibt eine Menge dazwischen. Und je mehr du mit deinem System arbeitest, umso besser kannst du kleine Abstufungen wahrnehmen lernen. .
Wozu das gut ist? Du lernst rechtzeitig (!) zu spüren, wenn dein Stresslevel steigt, wenn dein Nervensystem sich aus dem grünen Bereich in Richtung orange verschiebt – und noch bevor du dort landest, wo du rot siehst, hast du damit auch die Möglichkeit, um einzugreifen und etwas zu verändern, was dein Nervensystem sich wieder beruhigen lässt und dich damit handlungsfähiger macht. Einfach indem du es gar nicht so weit kommen lässt.
Du spürst nämlich, wenn du an einem Tag vielleicht nicht aus dem grünen sondern schon von hellorange startest – vielleicht weil dein Kind und damit auch du schlecht geschlafen habt. Nicht immer ist ein Grund ersichtlich – doch wahrnehmen, dass etwas anders ist, wirst du mit der Zeit – und du lernst deiner Wahrnehmung deines Nervensystems zu vertrauen.
Denn dein Nervensystem zeigt dir, wo es sich gerade befindet, ob es sich sicher und geborgen fühlt, ob es sich in einer sozialen Situation wohlfühlt, im Flow ist – oder ob Momente hinzukommen, die es aufhorchen lassen, die ihm sagen ok, hier passiert etwas, was sich ungut anfühlt und wo ich vielleicht aufpassen muss.
Beispiel: Dein Kind beginnt wild auf dem Bett herumzuhüpfen, obwohl es schlafen soll – und dein System meldet dir, wie es ihm damit geht. Ob es entspannt ist und bleibt oder ob es beginnt gestresst zu reagieren: vielleicht sagt es das Kind könnte sich verletzen, wenn es übermüdet noch so herumtobt oder vielleicht sagt es auch ich bin müde und kann soviel Unruhe nicht mehr ertragen, ich brauche einfach dringend eine Pause – und herumtobende Kleinkinder sind das genaue Gegenteil von Pause.
Nicht immer können wir die äusseren Umstände sofort abstellen oder verändern. Wir können aber lernen unser Nervensystem zu lesen und seine Botschaften so frühzeitig zu empfangen, dass es nicht im absoluten Notzustand ankommen muss, wo es nicht mehr anders reagieren kann als mit Kampf/ Flucht oder Erstarrungs-Impulsen, die sich vielleicht in schimpfen, schreien, meckern oder in dem Gefühl der Ohnmacht und Verzweiflung zeigen können.
Für das Beispiel könnte das heißen. Du wartest vielleicht nicht ab bis es absolut zuviel ist und dein Bedürfnis nach Ruhe und du selbst so überreizt bist, dass du dein Kind anschreist oder entnervt oder meckernd das Zimmer verlassen musst.
Je eher du spürst, dass dein Nervensystem dir die Rückmeldung gibt, dass es beginnt seine Senoren auszufahren kannst du für dich Massnahmen ergreifen, die deinem System helfen können etwas ruhiger zu werden, bevor du dich den nächsten Herausforderungen stellst.
Du kannst dies Menschen kommunizieren, die dann Rücksicht darauf nehmen können. Du kannst dies auch einem Kind kommunizieren. Auch, wenn es nicht in gleichem Maße wie einer erwachsene Person darauf reagieren kann ist es eine wertvolle Information, die viel über dich und eure Beziehung aussagt. Du kannst auch Massnahmen ergreifen, die dir in dieser Situation helfen und die unabhängig davon sind, wie andere sich verhalten.
Vielleicht entscheidest du dann an einem Tag beim abholen aus dem Kindergarten nicht noch zum Spielplatz und einkaufen zu gehen, sondern direkt nach Hause, weil die sichere Umgebung und gewohnte Abläufe sowohl deinem Kind als auch dir gut tun – oder vielleicht führt dich genau deshalb dein Weg nachmittags zum Spielplatz, wenn du die Erfahrung machen konntest, dass dein System dort eine Pause bekommt, dir die frische Luft gut tut und sich das damit positiv auf dein Nervensystem auswirkt und auch das System deines kindes nicht überlastet.
Du siehst: wenn du beginnst dich um dein Nervensystem zu kümmern, entdeckst du einen Schatz, der dich dabei unterstützen kann mehr und mehr das Elternteil zu werden, das du immer sein wolltest, stressvollen Momenten gut zu begegnen ohne dich selbst darin zu verlieren und gleichzeitig gute Routinen und Tools zu entwickeln, die dir helfen, wenn es mal schwierig wird.

Nervensystem-Balance Coaching
Manchmal braucht es etwas mehr – Unterstützung kann hilfreich sein. Es bewegt sich nichts oder du findest nicht den passenden Zugang? Deine Themen scheinen dir unlösbar, zu groß oder gar nicht richtig fassbar? Ich helfe dir dabei, dein Nervensystem zu verstehen und dein Stresslevel zu regulieren. Gemeinsam schaffen wir Schritt für Schritt mehr Balance in deinem Alltag – für dich und deine Familie. Wenn das interessant für dich ist schreib mir.
Grund 2: Gefühle in Balance
Nicht nur Streß, auch Gefühle können uns ohnmächtig fühlen lassen. Auf der Reise dein Nervensystem kennenzulernen und dich gut um es zu kümmern lernst du deshalb nicht nur dein Stresslevel sondern auch deine Gefühle zu regulieren. Große Gefühle wie Angst, Panik oder Wut, die die Tendenz haben uns zu überwältigen, können wir damit ihren Schrecken nehmen.
Was passiert, wenn du deine Gefühle eigenständig regulieren kannst? Wenn du in der Lage bist großen Gefühlen auf eine Weise zu begegnen, die dich nicht zu einem hilflosen Opfer machen, sondern dich in die Lage versetzen Einfluss zu nehmen und Veränderung in deinem Gefühls-Erleben aktiv herbeizuführen. Die Antwort dürfte klar sein. Damit reißen dich Gefühle wenn es gut läuft nicht länger mit sich fort.
Wer schon mal eine Panikattacke hatte, weiß,wie es sich anfühlt, wenn ein Gefühl einen komplett vereinnahmt und es nichts anders mehr gibt als das. Fast jeder erwachsene Mensch hat einmal in seinem Leben eine Panikattacke. Nicht die Angst an sich ist das Problem, sondern dass wir uns ihr so ausgeliefert fühlen macht sie zu einem Problem. Wenn du weißt, wie du dein Nervensystem herunterregulieren kannst, kannst du damit auch auf große Gefühle reagieren und lernen deine Gefühle zu regulieren.
Von einer meiner Lehrerinnen habe ich zu diesem Zweck eine einfache und sehr effektive Methode gelernt, wie wir Stress, Angst & Panik innerhalb von wenigen Minuten regulieren können. Sie lebt in Israel und berichtete, dass sie diese Methode entwickelt haben, um möglichst vielen Menschen in kurzem Zeitraum helfen zu können, wenn mehrere gleichzeitig in einem Schutzraum sitzend eine Panikattacke bekommen. Mit dieser Methode konnte ich schon vielen Menschen helfe, die überrascht sind, wie gut sie sich damit auch selbst helfen können.
Es gibt natürlich nicht nur solche Notzustände und Gefühle, die uns so komplett aus der Bahn werfen, sondern auch Gefühle, die uns einfach unangenehm sind oder uns dazu bringen, dass wir nicht mehr so gut reagieren können, wie wir es gerne würden. Wir werden zu einem Menschen, der wir vielleicht nicht sein wollen, werden ungeduldig, genervt oder meckern herum.
Wäre es nicht toll, wenn du in Zukunft die Wahl hättest, wie du auf dein Kind oder Situationen reagieren willst? Wenn du merken könntest: ok, da ist Gereiztheit und bevor diese Gereiztheit zu Ärger und bevor der Ärger zu Wut wird, nutze ich einfach eine Technik, die meinem Nervensytem hilft, sich schon an diesem Punkt etwas zu entspannen? Wäre es nicht toll, wenn du wüsstest, dass es etwas gibt, was dir auch in großer Not bei Panikattacken oder wenn du Angst hast, helfen kann? Damit du aussteigen kannt aus dem Kreislauf von Angst und Panik, damit du aussteigen kannst aus einem Zustand, in dem du nur noch reagierst aber nicht mehr aktiv das Gefühl hast dich entscheiden zu können, wie du nun reagieren willst?
Statt also direkt in die Luft zu gehen, wenn dein Kind dich beschimpft kannst du dahin gelangen, dass du wahrnimmst, dass es etwas mit deinem Nervensytem macht – ohne, dass es direkt losgeht und du zum Gegenangriff übergehst. Die Wahl zu haben, wie wir reagieren wollen kann die Beziehung zu unseren Kindern aber auch zu allen anderen Menschen nur bereichern. Nicht mehr reagieren, weil wir nicht anders können, in den Verteidigungsmodus oder den Kampfangriff zu gehen, weil wir einfach keine Lust mehr haben es 20.374 mal sagen zu müssen, dass die Straßenschuhe nichts im Bett verloren haben (oder was immer es sein mag, was es bei dir ist, was dich so fühlen lässt). Sondern gut für unser Nervensystem zu sorgen und uns entscheiden, welche Art von Kontakt und Beziehung wir leben wollen.
Grund 3: Atempausen fürs Nervensystem
Etwas, das für Dein System und dich von großem Wert sein kann auf dem Weg zu einem regulierteren Nervensystem ist es, zu lernen dir und deinem Nervensystem Pausen zu geben.Das klingt banal? An der Umsetzung scheitert es dennoch häufig.
Wir alle wachsen in einer Leistungsgesellschaft auf, die uns schon von klein auf beibringt, dass unser Wert eng mit unserer Fähigkeit zu funktionieren und Leistung zu erbringen verknüpft ist. Menschen, die das aus welchen Gründen auch immer nicht tun können oder wollen- vielleicht, weil sie zu jung oder zu alt sind, vielleicht weil sie krank sind oder besondere Bedürfnisse haben, fallen schnell aus dem Raster. Wer bin ich noch – und wichtiger: wie wertvoll bin ich, wenn ich nichts tue?
Mach gern einmal den Selbsttest: wie gut kannst du mal alles liegen und stehen lassen? Und zwar ohne dass du dich schlecht dabei fühlst, ohne dass du Gewissensbisse bekommst oder ein Teil von dir beginnt dir Vorhaltungen zu machen. Ohne, dass du das Gefühl hast, weniger wertvoll zu sein.
Wenn auch du zu den Menschen gehörst, die schlecht nein sagen können und die vielleicht noch dazu eine starke innere Kritikerin und eine ebenso große innere Antreiberin haben, dann wird dieser Teil besonders herausfordernd für dich sein. Zu lernen, dir selbst Langsamkeit zuzugestehen, ok damit zu sein, wenn du nicht so viel geschafft hast, wie du denkst, dass von dir erwartet wird – oder wieviel du auch selbst von dir erwartest und dir aktiv Pausen zu nehmen und: sie auch zu genießen. Das ist ein Abenteuer – und du wirst überrascht sein, wie viele inneren Widerstände vielleicht auftauchen und wie sehr dein Kopf dich nicht zur Ruhe kommen lässt, wenn du dich darauf einlässt. Je nachdem kann es in diesem Punkt hilfreich sein zusätzlich eine Achtsamkeitspraxis zu etablieren oder dir deine inneren Anteile und auch deine vielleicht bisher versteckten Glaubenssätze etwas genauer anzusehen. Viele Glaubenssätze melden sich nämlich genau dann zu Wort, wenn sie Angst haben, dass wir nicht mehr wertvoll genug für andere sein könnten. Wenn wir Angst haben, dass wir nur wert sind geliebt oder gemocht zu werden, wenn wir funktionieren. Das rührt eine tiefe Angst ist uns, die selten etwas mit der gegenwärtigen Realität zu tun hat und oft sehr eng verknüpft ist mit frühen Erfahrungen und damit wie willkommen, angenommen und geliebt wir uns möglicherweise in unserer frühen Kindheit fühlen konnten.
Dabei ist es ein Grundbedürfnis, wenn nicht das Grundbedürfnis überhaupt in Verbindung mit anderen Menschen zu sein. Werden wir von einer Gruppe ausgestoßen ist das genauso schmerzhaft, wie körperlich verursachtes Leiden. Und es war in der Geschichte der Menschen überlebenswichtig zu einer Gruppe dazuzugehören. Gemocht zu werden, geliebt zu werden, wichtig zu sein – für eine Gruppe, für andere Menschen ist also etwas, das unser Nervensystem evolutionär als überlebenswichtig einstuft. Fühlt es dies in Gefahr gerät es in Streß.
Dein Nervensystem hat also vielleicht verinnerlicht, dass es sicherer ist zu funktionieren und abrufbereit zu sein. Vielleicht hat es auch gelernt, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Und es hat sich Strategien zugelegt, die zu Mustern wurden die dich bis heute begleiten, die dich heute davon abhalten, dir ausreichend Ruhephasen zu gönnen, dir es dir vielleicht schwer machen ERholung zu finden in Phasen, wo Erholung möglich wäre, die deinen Schlaf stören, dir Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten bereiten oder dir ein Gefühl von ständigem inneren getriebensein vermitteln oder ein Gefühl von nie genug, nie gut genug zu sein… Wenn du diese und ähnliche Empfindungen kennst – vielleicht magst du ausprobieren wie es ist, wenn du Muster zu verändern beginnst. Vielleicht magst du dich auf eine Reise machen zurück zu dir selbst.
Grund 4: Grenzen spüren
Das ist ein guter Moment, um über Grenzen zu sprechen. Die eigenen Grenzen zu spüren und sie zu wahren ist etwas, was viele von uns nicht gelernt haben. Nicht umsonst gibt es genug Menschen, die im Burnout landen, gibt es genug Eltern, die sich aufreiben zwischen all den Aufgaben und die auf einem dünnen Seil dessen balancieren, was sie noch aushalten können. Die Leidtragenden sind wir selbst – und damit auch unsere Kinder. Dabei ist es total wertvoll, wenn unsere Kinder von uns lernen können, dass wir Grenzen haben. Dass wir nein sagen können. Zu ihnen, zu anderen. Dass wir auf uns selbst aufpassen und nicht so ohne weiteres, einfach weil wir es nie anders gelernt haben einfach über unsere Grenzen hinweggehen. Ein „nein“, mit dem wir unsere Grenzen wahren ist ein „ja“ zu uns selbst.
Selbstregulation als Schlüssel
Als Eltern stoßen wir immer wieder auf unsere eigenen Grenzen. Manchmal passiert das plötzlich, wenn wir uns in einem Konflikt mit unseren Kindern wiederfinden und merken, dass wir überfordert sind oder emotional reagieren. Es ist wichtig, dass wir unsere eigenen Grenzen erkennen und lernen, rechtzeitig „nein“ zu sagen – nicht nur, um uns selbst zu schützen, sondern auch um unseren Kindern gesunde Grenzen vorzuleben.
Kindliche Grenzen respektieren
Genau das können sie von uns lernen. Oder, wir lernen es umgekehrt von unseren Kindern, die zumindest am Anfang ihres Lebens sehr bereit sind ihr nein vollkommen zu leben. Wenn wir lernen ihr nein nicht als Angriff auf uns selbst zu verstehen und beobachten können, was passiert, wenn alle in der Familie das Recht haben „nein“ zu sagen, kann das zu spannenden Erkenntnissen führen, die uns als Familie miteinander wachsen lassen können. Wir können als Eltern lernen das nein unserer Kinder nicht länger unangebracht zu empfinden oder es in Verbindung mit ERziehungsversagen unsererseits zu bringen. Ein Kind das mir klar sagt nein wenn ich es darum bitte den Müll runterzutragen hat mir eine wertvolle Botschaft vermittelt. Von hier aus können wir miteinander in Kontakt gehen und aushandeln, was gerade möglich wäre und was jeder von uns braucht um sich innerhalb der Familie mit unseren Grenzen, Regeln und Routinen wohlzufühlen.
Körper und Grenzen
Du kannst Deinen Kindern außerdem auch ein Vorbild sein, indem du ihnen zeigst, dass du selbst deine körperliche Autonomie wahrst genauso wie deine inneren Grenzen. Dass du in Momenten, in denen du noch nicht sicher bist weder sofort ja noch sofort nein sagst, sondern dir einen Moment nimmst (oder auch zwei oder drei), um eine gute Entscheidung treffen zu können, mit der es dir und anderen evtl. Beteiligten möglichst gut gehen kann.
Grenzüberschreitungen in unserer Vergangenheit
Besonders wenn unser System heute nicht viel Spielraum hat, wenn wir als Kind Bestrafung oder Gewalt erfahren haben, wenn wir Übergriffiges Verhalten oder Trauma in unserer Vergangenheit haben, wenn wir unter ständigem Streß stehen haben wir sehr wahrscheinlich nicht wenig Grenzüberschreitungen in unserem Leben erlebt. Auch medizinische Interventionen, Operationen uä können zu so einem Erleben geführt haben. Jede Grenzüberschreitung löst etwas in unserem Nervensystem aus. Und je nachdem, wie schwerwiegend dies war, wie allein wir damit gelassen wurden kann es sein, dass es mehr Unterstützung auch von außen braucht, um das zu bearbeiten und unser Nervensystem zu entlasten und wieder schwingungsfähiger zu machen. Wenn du das Gefühl hast, da gibt es etwas, das wie nachwirken könnte, ist es sinnvoll, dir Unterstützung zu suchen. Wenn deine Grenzen in deiner Vergangenheit verletzt wurden reicht es oft nicht aus, wenn du selbst an dir arbeitest. Es braucht einen Menschen, der dein Nervensystem lesen und das, was damals gefehlt hat erkennen und einordnen kann. Oftmals ist es, dass wir allein in und mit einer Situation waren, hilflos und ohnmächtig, nicht in der Lage uns selbst zu verteidigen oder wegzulaufen, uns zu schützen. In Coaching und therapeutischer Begleitung erfährt dein Nervensystem im besten Fall eine Person, die dein System Co-regulierend auf diesem Prozess begleiten kann.
Grund 5: Neues Körpergefühl
Grundlage der Arbeit mit deinem Nervensystem und gleichzeitig angenehmer Nebeneffekt ist, dass du lernst, deinen Körper zu spüren und vielleicht auch neu kennenzulernen. Zu entdecken, dass es nicht nur Gefühle (z.B. Angst, Wut, Trauer) und nicht nur Körperempfindungen (Empfindungen wie Wärme, das Spüren unseres Herzschlags, das Wahrnehmen unserer Körpergrenzen, die Information, welcher Bereich unseres Körpers gerade entspannt oder angespannt ist oder dass Empfinden von Irritationen wie dass wir einen Kloss im Hals haben) gibt, sondern dass beides da ist – und wir unsere Aufmerksamkeit sowohl auf das eine als auch auf das andere richten können.
Vielleicht spüren wir das Gefühl Angst – und die Körperempfindung Herzklopfen. Bleiben wir mit unserer Wahrnehmung dort, wo wir unser Herz klopfen spüren können wir auch schneller Veränderungen wahrnehmen, können wir aus großen Gefühlen leichter wieder herausfinden, können wir lernen, wie unser Körper auf bestimmte Dinge reagiert und haben gleichzeitig etwas, was uns eine Art Frühwarnsystem werden kann. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen – dh mein Nervensytem aktiviert sich und vielleicht kann das zu Angst werden oder zu gestresst sein.
Das gute ist: die Wahrnehmung ermöglicht es mir auch, dem nicht ausgeliefert zuzusehen sondern oftmals jetzt etwas zu tun, womit ich Einfluss nehmen kann. Und auch in Momenten, in denen scheinbar nichts geht kann ich über diese achtsame Körperwahrnehmung arbeiten und mich damit vielleicht aus einer Starre befreien, in der mein System geht, um sich vor diesem Empfinden zu schützen.
Auch hier bedarf es große Achtsamkeit. Den Bezug zu deinem eigenen Körper wiederherzustellen kann eine große Chance sein – für viele ist es jedoch auch extrem herausfordernd. Besonders, wenn dein System dich über das Nicht-in-Kontakt-sein zu schützen versucht. Zögere nicht, dir an dieser Stelle Hilfe zu holen. Gleichzeitig gibt es viele Möglichkeiten um spielerisch und mit anderen Methoden einen ersten Kontakt herzustellen, der es dir ermöglicht deinen Körper von einer anderen Seite zu erleben, ihn vielleicht weniger gefährlich zu erleben oder auch ihn liebevoller zu betrachten. Über die Arbeit mit dem Körper kannst du Themen bearbeiten, ohne sie benennen oder kennen zu müssen. Und ein neuer Zugang zu deinem Körper oder der Grundstein für ein gutes Körpergefühl ist eine Baustein hin zu mehr Wohlbefinden im Alltag und einem sich wohlfühlen mit mir selbst.
Grund 6: Mehr Resilienz
Was oft ganz unbemerkt passiert ist, dass dein Stress-Toleranzfenster größer wird, was eine Grundvoraussetzung für Resilienz ist. Es gibt viele Gründe, warum ein Stress-Toleranzfenster klein oder schmal ist. Begonnen von den Dingen, die unserem Nervensystem quasi schon in die Wiege gelegt wurden an Besonderheiten oder Schwingungsfähigkeit über die Erfahrungen in unserer frühen Kindheit, Erziehung und Sozialisation bis zu chronischem Stress und traumatischen Erlebnissen, Verlusten und anderen Situationen, die uns so aus der Bahn werfen, dass es unser Fenster enger werden lässt und damit auch unsere Möglichkeiten flexibel auf Situationen zu reagieren beeinträchtigt. Je länger du dich gut um dein Nervensytem kümmerst, desto mehr wirst du merken, dass sich Dinge zu verändern beginnen. Oft entdecken wir erst in der Rückschau, dass uns Situationen, die uns früher hilflos oder ohnmächtig gemacht hätten, über die wir uns geärgert oder verängstigt hätten plötzlich keine dieser Wirkungen mehr auf uns haben.
Unser Nervensytem legt neue Bahnen in unserem Gehirn an und wir können alte Muster und Reaktionswege, die es gewohnheitsmässig nimmt überschreiben. So kann es passieren, dass sich Ängste verbessern oder auflösen, wir Situationen nicht mehr stressig finden, die uns früher an den Rand der Verzweiflung getrieben hätten. Und ja, wir können damit auch verändern, wie wir auf unsere Kinder oder alltägliche Herauforderungen reagieren, die bisher scheinbar immer in der gleichen Weise abliefen. Wir können aus Schimpf-Spiralen oder Machtkämpfen aussteigen.
Grund 7: Bessere Beziehungen führen über Achtsamkeit im Kontakt
Ein entspannteres Nervensystem und mehr Möglichkeiten zu reagieren ermöglicht es uns, mit uns selbst und anderen Menschen in guter Verbindung zu sein. Besonders als Eltern oder Fachkräfte ist es unabdingbar, dass wir uns immer wieder erden und regulieren können. Denn unsere Kinder sind darauf angewiesen, dass sie regulierte Erwachsene um sich haben. Besonders, wenn sie selbst wütend sind oder Angst haben. Ein weinendes Baby beruhigt sich nicht, wenn es in den Armen eines Menschen liegt, der von dem Weinen so gestresst ist oder von dem Gefühl zu versagen überflutet ist, dass er sich selbst kaum mehr spürt. Wer lernt die eigenen Gefühle in solchen Situationen wahrzunehmen, seine Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt und zurücktreten kann von dem, was unser Kopf uns in solchen Momenten erzählen mag (du bist eine schlechte Mutter, kannst du eigentlich gar nichts richtig machen…), in Kontakt mit sich selbst bleiben. Eine Grundvoraussetzung, um auch mit anderen Menschen in gutem Kontakt zu sein.
Nur, wenn sich unser Nervensytem sicher genug fühlt können wir interagieren und reagieren. In Momenten, in denen wir gestresst sind, das kennen wir alle, wird unser Ton ungeduldiger und härter unseren Kindern gegenüber. Wenn wir in Gedanken und Sorgen festhängen können wir uns weniger gut auf ein Spielen mit unseren Kinern – oder auch auf angenehmen Austausch mit Freunden einlassen. Nur, wenn unser Nervensystem reguliert ist, sich sicher fühlt, nicht hoch aktiviert in Angst, Wut oder Stress festhängt könenn wir in gutem Kontakt miteinander sein und gesunde Beziehungen führen.
Das Wissen darum, was dein Nervensytem braucht, damit du dich in Beziehungen oder im Kontakt mit anderen Menschen sicher fühlst gibt dir die Möglichkeit soziale Situationen so zu gestalten, dass es dir gut in und mit ihnen geht. Wenn ich weiß, dass mein Nervensystem in Öffentlichen Verkehrsmitteln gestresst ist, wegen der Vielzahl der Menschen und der vielen Geräusche kann ich mir möglicherweise mit Kopfhörern helfen oder zu Uhrzeiten fahren, wenn weniger los ist. Vielleicht steige ich auch aufs Fahrrad um.
Innerhalb von Beziehungen kann ich mit meiner Partnerperson oder auch mit meinen Kindern verhandeln, was jedes Familienmitglied braucht und wie Nähe und Distanz innerhalb unseres Familienlebens aussehen kann. Wer braucht wann Rückzug und wie können wir den gestalten? Wo haben wir Räume und Zeiten, in denen wir in Kontakt miteinander sind und Bindungsmomente möglich werden…. du siehst: wenn du dein Nervensystem kennst und weißt, wie auch andere Nervensysteme funktionieren kannst du dir Verhaltensweisen oder REaktionen von dir selbst oder deinen Kindern leichter erklären und ihr könnt gemeinsam Wege gehen, die euer Familienleben nervensystemkompatibel gestaltet. Das kann auch heißen, dass ein Kind, das möglicherweise durch Neurodivergenz, andere Bedürfnisse hat in diesen gesehen wird. Statt passend gemacht zu werden können wir Überlastungen einzelner Familienmitglieder verhindern. Bei uns heißt dies zum Beispiel, dass ein Kind nicht an gemeinsamen Mahlzeiten teilnimmt, wenn wir Besuch haben, sondern in einem geschützten Raum, im Kinderzimmer, seine Mahlzeit serviert bekommt, weil es nicht essen kann, wenn es sich dabei beobachtet fühlt. So gut können andere Menschen gar nicht woanders hingucken um hier die Sicherheit zu gewährleisten, die sein Nervensystem braucht. Wir dürfen auch Wege gehen, die andere Menschen vielleicht nicht positiv bewerten oder für die wir Augenrollen bekommen. Extra-Wurst fürs Kind? Was lernt es dann davon? Es lernt, dass es seine Grenzen spüren und wahren kann und dass wir an den Stellen, wo wir Einfluss darauf haben Situationen so gestalten können, dass sie nervensystemkompatibel sind. Es gibt genug Bereiche, in denen das wirklich nicht möglich ist. In allen anderen plädiere ich für mehr Entspannung – auch ganz nervensystemkompatibel. 🙂

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Autorin
Seit über einem Jahrzehnt begleite ich Familien in verschiedenen Lebenslagen. Auf meinem Blog schreibe ich über Themen, die mich beschäftigen und berühren. Von Bindungs- und Neurowissenschaften über Entwicklungspsychologie bis hin zu Stressprävention, Trauma und Burnout.
Es geht um alles, was Eltern und Fachkräfte bewegt – und was uns hilft, unsere Kinder gut ins Leben zu begleiten. Manchmal teile ich auch persönliche Einblicke aus meinem Alltag als Mutter von drei Kindern.
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