Alles, was wir einem Kind beibringen, kann es nicht mehr lernen

Aug 9, 2022 | Spielend lernen

Wie Kinder wirklich lernen

Alles, was wir dem Kind beibringen, kann es nicht mehr lernen“. Der von Jean Piaget geprägte Satz bezieht sich darauf, dass wir Kindern mitunter die Chance nehmen eigene Erfahrungen zu machen. Was damit gemeint ist und wie du dein Kind darin unterstützen kannst, selbstwirksam die Welt zu entdecken, neues zu lernen und neugierig zu bleiben erfährst du hier. 

Kinder kommen als kleine Forscher*innen zur Welt

Kinder kommen auf die Welt und sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Sie wollen verstehen, wie die Welt funktioniert und Erfahrungen in ihr sammeln. 

Es stärkt ihr Selbstwertgefühl, wenn sie aus eigenem Antrieb heraus Fähigkeiten erlangen, trainieren oder festigen. Wenn sie neue Situationen oder Problemstellungen meistern. Kurz: wenn sie eigenständige Erfahrungen machen dürfen. So funktioniert Lernen nicht nur: das ist Lernen. 

Sie lassen sich dabei auch durch nichts aufhalten. Eltern erleben, dass sie ihr Kleinkind gefühlte tausendmal von der Steckdose wegsetzen können – und es wird immer wieder den Weg dorthin finden. Solange, bis der kleine Forschergeist befriedigt ist. Dafür werden Lichtschalter stetig an- und ausknipst, Schubladen ausräumt oder wieder und wieder Bewegungen geübt: vom greifen, übers Mütze abziehen bis zum gehen. 

Für Eltern mag das mitunter anstrengend sein; Für das Kind erfüllt all dies einen wichtigen Zweck. Es geht durch die Welt und lernt, indem es sie be-greift. Es kann gar nicht anders. 

Der selbstbestimmte Lernprozess ist es, der zählt – Entwicklung des Selbstwerts durch Selbstbestimmung 

Selbstbestimmung und Eigenkontrolle sind dabei wesentlich für die Entwicklung von Lernstrategien und Selbstwertgefühl – nur, wenn das Kind über sein Tun selbst bestimmen kann, wird es interessiert und neugierig bleiben, begierig die Welt zu verstehen und Erfahrungen zu machen. Und Erfahrungen sind Grundvoraussetzung für jegliches Lernen.

Erwachsene haben eine andere Vorstellung davon, was Lernen ist und neigen nicht nur dazu, den kleinen Forscherdrang der Kinder, der nebenbei ein guter Gradmesser dafür ist, was gerade in ihrer Entwicklung dran ist, zu unterbinden, sondern auch dazu, dem Kind stattdessen Fähigkeiten und Fertigkeiten aufzudrängen, für die es entwicklungsbedingt vielleicht noch nicht bereit ist. Sie wollen den Kindern etwas beibringen und überschätzen dabei das „Endprodukt“ des Lernens und unterschätzen, wie wichtig der Lernprozess selbst für das Kind ist. 

Erwachsene wollen Kindern etwas beibringen, statt ihnen die Chance zu geben durch den Prozess des Lernens hindurchzugehen 

Damit ist gemeint, dass wir Erwachsenen im allgemeinen sehr ergebnisorientiert sind. Den Prozess, der uns zu einer Lösung führt ist es jedoch, der wertvoll ist und der Veränderung bewirkt. Einfach zur Lösung zu springen bringt auch bei uns großen Menschen keinerlei Entwicklung.

Bei Kindern sieht das dann gern mal so aus, dass wir ihnen die Welt erklären und Lösungen vorgeben, statt sie ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen und dabei entdecken zu lassen – ganz spielersich – wie diese funktioniert.

Ich erinnere mich hier sehr deutlich an eine Begebenheit in einem Baby-Krabbelkurs. Die Kinder sahen zum ersten Mal in ihrem Leben eine Krabbelrolle. Wir Erwachsenen sehen sie und wissen: die ist zum durchkriechen gedacht. Kinder sehen sie und sehen: dass sie eine Form hat, eine Farbe, eine Struktur und sie krabbeln hin und begutachten das, sie fangen an, sie hin und her zu rollen und zu betasten – und vielleicht werden sie irgendwann von sich aus durchkriechen, vielleicht auch nicht. Diesen Prozess, dieses Entdecken und Erkunden halten Erwachsene oft nicht aus. Und so können wir darauf warten, dass  spätestens nach einer Minute irgend ein wohlwollendes Elternteil seinem Kind „erklärt“, wie das mit der Rolle funtioniert und was es jetzt zu tun hat, um „richtig“ mit dieser Krabbelrolle zu spielen. Schade. Nett gemeint ist in dem Fall nicht gut gemacht. Denn so entgehen dem Kind zahlreiche Erfahrungen, die es hätte machen können, während es sich mit dem neuen „Ding“ auseinandersetzt. Zahlreiche Vernetzungen von Gehirnzellen entgehen ihm nun. Und auch das Erleben der Selbstwirksamkeit.

Wir große Menschen erklären unseren Kindern die Welt. Dabei entgeht nicht nur den Kindern eine wertvolle ERfahrung, sondern auch wir verpassen. so die Chance die Welt nochmal aus Kinder-Augen zu betrachten.

Ältere Kinder bekommen später vorgegeben wie sie Rechnungen lösen, statt sich damit auseinanderzusetzen zu dürfen und ihre Wege und damit ein eigenes Verständnis finden zu können. Beim Schwimmen-Lernen ebenso: Wir großen erklären unseren Kindern die Welt. Wir Erwachsenen sagen, wie etwas funktioniert, statt die Kinder, wie im Beispiel des Schwimmens erstmal das Element Wasser erkunden und erleben zu lassen – und dieses mehr noch erobern und zu ihrem werden zu lassen bis sie sich darin wohlzufühlen…

Wir überschätzen das Endprodukt des Lernens. Wir sind lösungsorientiert und wir haben vergessen, wie wertvoll und wichtig es ist, eigene Erfahrungen zu machen. Denn nur mit diesen passiert Lernen.

 

Lernen nach dem inneren Fahrplan und Entwicklungsstand

Kinder sind neugierig und üben nachhaltig, was entwicklungsbedingt in ihnen herangereift ist. 

Wie der schweizer Kinderarzt und Autor zahlreicher Bücher zum Thema Entwicklung von Kindern, Remo Largo, sagte:

„für das Kind bedeutet Lernen nicht Fähigkeiten und Wissen zu erwerben, sondern Erfahrungen zu machen, die seinem Entwicklungsstand entsprechen“. 

Konfrontieren wir Kinder zu früh mit Wissen und Fertigkeiten, für die es nicht bereit ist, wird es nicht nur unsicher oder lustlos damit umgehen, es wird auch nachhaltig in seinem Selbstwertgefühl beeinträchtigt. „Das Gefühl „die Eltern erwarten von mir etwas, das ich offenbar begreifen sollte, aber nicht verstehe“ ist Gift für die kindliche Neugier und das Selbstwertgefühl“ (Remo Largo) und damit für den Lernprozess selbst.

Auch Fertigkeiten wie bspw Lesen oder Schreiben kann sich ein Kind erst dann aneignen, wenn es von seinem Entwicklungsstand her auch dazu bereit ist Zuvor findet auch Largo Üben unnütz und es mißrät eher zur Überforderung. Sinnvoll für ein Kind sind dagegen alle Erfahrungen, die es aus einem eigenen Bedürfnis heraus machen will. Und das eben nicht nur in der Altersgruppe U3. 

Was Eltern tun können

Eltern und Erwachsene können genau diese Aktivitäten bestärken und gute und sichere Bedingungen im Aussen dafür herstellen. Das bedeutet zb gemeinsam mit dem Kind zu erkunden, die Umgebung zu sichern und sie wie Montessori es formulierte gemäss dem Grundsatz „hilf mir es selbst zu tun“ zu begleiten. 

Begleiten heisst dabei nicht belehren. Und Lernen heisst nicht unterrichten. Für viele von uns heißt das, dass wir uns etwas zurücknehmen müssen. Ruhig werden, beobachten, und dem Kind die Chance lassen sich mit etwas auseiandnerzusetzen, ohne sofort einzugreifen. Wunderbarer Nebeneffekt: wir können von unseren Kindern lernen, wie es ist wirklich neugierig zu sein, wirklich in etwas zu versinken und die Welt nicht durch unsere schon fixe Struktur und Brille zu sehen. 

Wenn wir uns darauf einlassen, können wir so lernen, wieder die Wunder der Welt zu sehen. 

Soll ich dann mein Kind alles tun lassen, wozu es Lust hat?

Kinder begleiten heisst auch nicht sie alleine zu lassen oder sie alles tun zu lassen, was sie vermeintlich wollen. Sichere Bedingungen herstellen kann bedeuten, dabei zu sein oder auch den Forschergeist des Kindes ggf umzulenken und sichere Varianten oder Alternativen anzubieten, in denen es die Erfahrungen machen kann, die es gerade an- und umtreiben. 

Dann wird die Steckdose (evtl mit einer Kindersicherung versehen) eben gemeinsam mit Mama oder Papa erkundet, Schubladen in der Reichweite des Kindes mit ungefährlichen und unzerbrechlichen Küchenutensilien bestückt. Beim Gemüse Schneiden ist eine erwachsene Person dabei und statt im Wohnzimmer wird das Bedürfnis nach Erleben von Wasser und Schütt-Techniken ins Badezimmer oder ins Freie verlegt. 

Gilt das auch für größer werdende Kinder?

Ja. Und: Lernen heisst auch Vertrauen. Und es mag es sein, dass wir an Stelle des Zählens im Zahlenraum bis 10 erstmal wieder etwas mehr Vertrauen und viele viele Runden hide&seek (Verstecken) setzen dürfen.

Doch was, wenn die Sorge nicht die ausgeräumte Schublade sondern die Stifthaltung oder gar die Lese(un)lust sind? Gibt es einen Zeitpunkt, an dem wir sagen: jetzt ist Schluss mit lustig, weil der „Ernst des Lebens“ beginnt? Weil „spielen“ allein nicht mehr reicht? Funktioniert Lernen irgendwann nicht mehr auf diese Weise und braucht es etwas anders? Die Antwort liegt bereits im Text und lautet nein. Lernen an sich funktioniert nicht anders. Kinder sind immer neugierig. Menschen lernen immer. Ihr ganzes Leben lang. Und alles, was wir einem Kind beibringen – auch in guter Absicht und mit bestem Wissen und Gewissen – kann es selbst einfach nicht mehr lernen/ für sich entdecken. 

Wenn du mehr darüber erfahren willst, wie Lernen funktioniert und wie du dein auch grösser werdendes Kind dabei bestmöglich unterstützen kannst, dann schau gern wieder auf meinem Blog vorbei oder trag dich am Besten in meinen Newsletter ein, um nichts zu verpassen. Als Lerncoach (mit Schwerpunkt Legathenie) werde ich in Zukunft auch solche Themen hier verbloggen. Wenn Dir eine Frage besonders auf dem Herzen liegt, die ich vielleicht einmal in einem Beitrag beantworten soll, kommentier sie gern unter diesem Beitrag oder sende sie mir in einer Nachricht.

Du willst mehr wissen?

Wenn du mehr darüber erfahren willst, wie Lernen funktioniert und wie du dein auch grösser werdendes Kind dabei bestmöglich unterstützen kannst, dann schau gern wieder auf meinem Blog vorbei oder trag dich am Besten in meinen Newsletter ein, um nichts zu verpassen. Als Lerncoach (mit Schwerpunkt Legathenie) werde ich in Zukunft auch solche Themen hier verbloggen. Wenn Dir eine Frage besonders auf dem Herzen liegt, die ich vielleicht einmal in einem Beitrag beantworten soll, kommentier sie gern unter diesem Beitrag oder sende sie mir in einer Nachricht.

Wer schreibt hier?

Als Familienberaterin, Burnoutcoachin, Lerncoach für Kinder mit LRS, Yogalehrerin für Kinder sowie Therapeutin für Kinder mit Trauma und Regulationsschwierigkeiten bin ich tief eingetaucht in die Entwicklungspsychologie und die Frage, was Kinder wirklich brauchen, um gesund aufwachsen zu können. Wenn ich mich nicht gerade weiterbilde oder mit meinen eigenen Kindern spiele und lerne, dann schreibe ich hier, praktiziere Yoga oder genieße es gerade eine Ameisenstraße wieder mit den Augen eines Kindes zu betrachten. Ich versuche Eltern diese wunderbare Welt wieder zu eröffnen und ihre Kinder und damit auch sich selbst besser verstehen zu lernen. Ich freue mich, dass du hier bist. 

 

0 Kommentare
Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter abonnieren

Aboniere unseren Newsletter und verpasse keine neuen Blog Momente!

Wasserfarben Zeichnung einer Frau in einer Hängematte die am Laptop arbeitet

Du hast dich erfolgreich für den Newsletter angemeldet